E-Gravelbike Poison E 605, ein sportliches Tourenrad

Wenn man das Poison E-Gravelbike E605 so stehen sieht – schlanker, schnörkelloser Rahmen in metallisch leuchtendem Magmarot mit schwarzen Anbauteilen, man möchte sofort aufsteigen und losfahren.
Ein zweiter Blick zeigt: Schaltung und Bremsen GRX600 ( 1×11 ), innenverlegte Züge, Alu-Gabel, Remerx-Felgen mit Novatec-Nabe, Fizi:k-Sattel, Nabenmotor Bafang H600 ( 250 W/ 45 Nm ) und ein im Rahmen „versteckter“ Akku ( 360Wh ), die Ausstattung ist ebenso vielversprechend.

Rahmen + Gabel: E605 Aluminium
Motor + Akku: Bafang Naben-Motor H600/45 Nm, 360 Wh Akku
Shimano GRX 600 1-11fach Schaltung + GRX Bremsen
Reifen Continental Contact 37-622
Sattel Selle Royal Vivo
Gewicht 18 kg, Preis: 3199,- €

An die etwas umständliche Startprozedur gewöhnt man sich schnell. Der Startknopf neben der Ladebuchse über dem Tretlager wird einige Sekunden lang gedrückt, anschließend hält man die seitlichen Kontakte am Display ( Bafang C260 ) – die Anzeige leuchtet auf und man kann sofort Informationen ablesen: Ladezustand, die gewählte Unterstützungsstufe. Während der Fahrt kann ich dann verschiedene Leistungsparameter anwählen: Geschwindigkeit, Fahrstrecke, meine Wattleistung, auch die Gesamtwattleistung inkl. Unterstützung, Trittfrequenz, usw.

Der Motor- es gibt 5 Unterstützungsstufen und eine Schiebehilfe- wird über 2 Kontaktknöpfe am Lenker gesteuert. Anders als bei den bisher gefahrenen Nabenmotoren, bei denen die Unterstützung erst nach einer halben oder auch ganzen Pedalumdrehung zur Verfügung stand, ist dieser Motor sofort da. Das ist natürlich besonders beim Anfahren am Berg oder im Gelände, wenn überraschend eine steilere Rampe den Weg versperrt, hilfreich. Die ersten beiden Unterstützungsstufen schieben sehr zurückhaltend, man beschleunigt zwar zügig, aber die Unterstützung bleibt verhalten. Die 3. Und 4. Stufe schiebt dann kräftiger, nach Überschreiten der 25kmh Schwelle ist man ja im Rhythmus, merkt das Abschalten des Motors nicht, das natürliche Fahrgefühl bleibt. Bei einigen anderen Nabenmotoren war uns ja negativ aufgefallen, dass sie an längeren und steileren Anstiegen „schlapp“ machten. Das ist beim Bafang H600 anders, denn die 5. Stufe unterstützt, wenn man stärker in die Pedale tritt, auch am Berg umgehend mit mehr Power. Der Motor reagiert insgesamt sehr schnell auf einen veränderten Pedaldruck. Er ist mit einem Torque Sensor ausgerüstet, welcher drehmomentabhängig unterstützt. Es besteht aber auch die Möglichkeit für einen lastunabhängigen Trittfrequenzsensor.
Die BAFANG GO App bietet zusätzlich zum Display noch weitere Infos über Fahrdaten, Batteriestaus u. ä.; die Möglichkeit, die Motorleistung per App zu konfigurieren und an individuelle Bedürfnisse oder auch an spezielle Streckenprofile anzupassen, besteht allerdings bei Bafang (noch?) nicht..

Die Akkuleistung ( 360Wh ) scheint auf den ersten Blick etwas zu gering zu sein, zumal es auch noch keinen Range Extender gibt. Aber der Bafang H600 verbraucht, wenn man nicht permanent die stärkste Unterstützungsstufe wählt, überraschend wenig Energie. Selbst hier im Sieger-/Sauerland, wo es kaum ebene Strecken gibt, es geht immer bergauf/bergab, waren Touren über 80/90 Kilometer problemlos möglich. Und darüber hinaus ist der Motor ausgesprochen leise.
Klar, der Motor ist hier -siehe Akkukapazität – nicht für den Dauerbetrieb gedacht; bei einem E-Gravelbike mit Heckmotor und damit ja auch „normalem“ Tretlager ist das ja auch nicht nötig. Unterstützung am Berg, ein gelegentlicher zusätzlicher Schub beim Beschleunigen – ansonsten fährt man das Rad bei durchschnittlicher Fitness eh viel mit über 25 kmh.


Der Rahmen wirkt sehr stabil, das Rad liegt auch bei hoher Geschwindigkeit sehr ruhig auf der Straße und fährt sich aber auch abseits auf schmalen Wegen oder im Gelände sehr beweglich und agil.
Der stabile Alurahmen reicht allerdings Unebenheiten gnadenlos ans Gesäß und die Handgelenke weiter – unser Testrad ist mit Continental Terra Speed PT 40-622 Reifen ausgestattet, der Rahmen bietet aber auch für breitere Reifen Platz.

Das E 605 ist ein tolles E-Gravelbike für Touren auf wechselndem Untergrund. Egal, ob Straße oder Gelände. Es fährt sich so wie es aussieht, allerdings mit Motor. Wenn man es als „Muskelrad“ fährt, machen sich die 18kg. natürlich bemerkbar. Für ein sportliches Gravelbike, bei dem der Sport im Mittelpunkt steht, ist ein natürliches, unaufdringliches Fahrgefühl ein wichtiger Aspekt. Und 18 kg sind eben 18 kg. Das ist etwas zu viel für ein Sportrad mit tiefem Lenker, wenn Tempo und die sportliche Belastung im Mittelpunkt stehen.
Natürlich kann ich mit dem Poison E 605 sehr gut Brötchen holen, das Kind zum Hort bringen, mit Hänger den Großeinkauf machen oder zum Baumarkt fahren, zur Arbeit oder in den Biergarten; das E 605 ist als Gravelbike multipel, ein vielfältig nutzbares Rad für Straße, Wald und Wiese mit zuverlässigem „Rückenwind auf Bestellung“.
Seine eindeutige Stärken hat das Rad allerdings beim Tourenfahren – sportliche Touren mit Tempo und auch „Bio – Wattleistung“ und Unterstützung am Berg und bei Gegenwind. Ob Tagestouren auf unterschiedlichem Untergrund und auch anspruchsvollem Gelände oder mehrtägige Touren auch mit Gepäck, das Bike passt immer, ist zuverlässig, gut, sicher und problemlos zu steuern, macht Strecke und Spaß – und das für den Preis von knapp über 3000 €..

Poison ist eine echte Fahrradmanufaktur mit Firmensitz in Nickenich/am Laacher See, Vulkaneifel, Rheinland-Pfalz, die Räder werden noch“ von Hand“ aufgebaut. Man kann sich ein Rad so bestellen, wie man es möchte (Lieferzeit ca. 4 – 6 Wochen). Es gibt natürlich immer Musterräder mit einer Standardausstattung, aber ansonsten sind Farbe, Rahmenmaterial und Ausstattung wählbar – allerdings in gewissen Grenzen. Für dieses Modell wäre z.B. kein Carbonrahmen wählbar.
Aber Poison wäre nicht Poison, wenn sich beim E605 durch eine abgeänderte Ausstattung – Carbongabel, andere Laufräder, leichtere Reifen und Kleinteile – das Gewicht nicht um gut 2kg „drücken“ ließe. Eine Carbongabel und breitere Reifen bzw. tubeless-Reifen – weniger Reifendruck im Gelände ohne Angst vorm Platten – könnten dazu auch mehr Dämpfung bringen. Vielleicht ist auch eine gefederte Sattelstütze denkbar.

Das Modell E 605 gibt es aber nicht nur als Gravelbike, sondern auch als City-/Reiserad, dann auch neben dem Diamant- mit Trapezrahmen. Auch mit geradem Lenker, mit Schutzblechen, Ständer, Gepäckträger und Lichtanlage. Anschraubösen sind ja in ausreichender Zahl vorhanden.
Bei der Gravelversion würde ich aber aus optischen Gründen lieber „Bikepacking“ vorziehen.